Buchtipp: "Frau ohne Begräbnis" von Assia Djebar

ID 3912
 
In „Frau Ohne Begräbnis“ erzählt Assia Djebar von einer starken Frau im algerischen Unabhängigkeitskampf. Ein Roman gegen Vergessen und Ignoranz.
Audio
03:30 min, 3275 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 08.05.2003 / 16:43

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Kultur
Serie: Radio Palmares - Magazin
Entstehung

AutorInnen: Markus, Katrin und Wolfram
Kontakt: tomschrott(at)yahoo.com
Radio: PalmaresPB, Paderborn im www
Produktionsdatum: 08.05.2003
keine Linzenz
Skript

Anmoderationsvorschlag:
Die algerische Schriftstellerin Assia Djebar ist nicht nur eine der wichtigsten literarischen Stimmen des Maghreb, sondern wahrscheinlich auch die international bekannteste. So erhielt sie unter anderem vor drei Jahren den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Nun hat der Unionsverlag Ihren neusten Roman veröffentlicht: In „Frau Ohne Begräbnis“ erzählt Djebar von einer starken Frau im algerischen Unabhängigkeitskampf. Markus Kilp hat das Buch schon einmal für Sie gelesen:

Zitat. S. 212

Textskript:

Schreiben ist für Assia Djebar Erinnerungsarbeit. Mit ihrer literarisch-historischen Perspektive greift Sie dabei immer wieder die Geschichten von widerständigen Frauen in Ihrer algerischen Heimat auf. So gibt sie den, in einer patriarchal geprägten Gesellschaft, Marginalisierten eine Stimme und arbeitet erzählend gegen das Vergessen.

In „Frau ohne Begraebnis“, ihrem neusten Roman, geht sie dabei zurück auf eine Geschichte, die sich während des Unabhängigkeitskampfes in den 50er Jahren ereignet hat. Erzählt wird aus dem Leben der Zoulikha Oudai, die einst Wand an Wand mit Djebars Familie in Cherchell, dem antiken Ceasarea, wohnte.
Zoulikha ist eine der ersten Mädchen die einen französischen Schulabschluss machen darf, sie bewegt sich unverschleiert auf der Strasse und hat zwei Töchter aus drei Ehen. Eine freimütige und Lebenslustige Person also, die in Ihrer Umgebung viele Spuren und Spekulationen hinterließ.

1957 schließt sie sich dem Befreiungskampf gegen die französische Kolonialherrschaft an, bildet ein Netzwerk von Frauen und organisiert so den Widerstand. Als die Besatzungsmacht Ihr auf die Spur kommt, lässt Sie Ihre Töchter zurück und flieht in die Berge zu den Partisanen. Allerdings wird sie von der französischen Armee gefasst, gefoltert und ermordet. Ihre Töchter sehen Sie nie mehr wieder.

Die Erinnerung an Zoulikha ist aber auch Jahrzehnte nach ihrem Verschwinden nicht gestorben. Die unterschiedlichsten weiblichen Stimmen lassen ihre Taten und ihre Person wieder aufleben. Da spricht die alte Wahrsagerin Madame Lion, ihre Töchter kommen zu Wort und alte Weggefährtinnen treten aus dem Schatten ans Licht dieser Erzählung –
und da ist natürlich die Erzählerin selbst, die versucht diese Stimmen zu ordnen. Das alles ergibt eine aufregende Mischung aus Fiktion und Fakten, subjektiver Sicht und historischen Gegebenheiten.

Es entsteht wie in einem Mosaik das Bild der Zoulikha, als Freundin, Kämpferin. Liebende, und Mutter. Eine ungeheuer intensive Erinnerungsarbeit wird da in Gang gesetzt , mit einer einzigartigen Sprachvielfalt - zwischen analysierende Hochsprache und mündlicher Erzähltradition - . Kunstvoll und poetisch auch dann, wenn sich Zoulikha selbst in mehreren Monologen an ihre Hinterbliebenen wendet und die Umstände ihres Verschwindens erläutert.

Die Phantasie, die Sprache und die Erinnerung hilft den Frauen im Roman auch für Ihr eigenes Leben. So verstehen Zoulikhas Töchter, dass ihre Mutter gleich gegen zwei Unterdrücker zu Kämpfen hatte: gegen die Unterdrückung durch die Franzosen und gegen die Unterdrückung als Frau. Gleichzeitig werden die Erzählenden hier vom Objekt der Geschichte zum Subjekt – zu selbstbewusst Handelnden: So zeigt Assia Djebar in der tragischen Geschichte der Zoulikha, doch auch eine Perspektive für die Zukunft. Ein beeindruckender Roman von außergewöhnlicher Sprachlust und Wortgewandtheit.