Iz3w-Buch zu Tourismus und Rassismus

ID 1633
 
Interview mit Martina Backes und Tina Goethe vom IZ3W Freiburg über das Buch
Im Handgepäck Rassismus. Beiträge zu Tourismus und Kultur, iz3w-Verlag, Freiburg, August 2002. Nichtkommerzielle Weiterverwertung erwünscht. Sonstige Weiterverwertung nur auf Autorsation. Kontakt: andreasbymail@gmx.net
Audio
10:53 min, 5102 kB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 10.08.2002 / 00:00

Dateizugriffe: 2

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Andreas Linder
Radio: WW-TÜ, Tübingen im www
Produktionsdatum: 10.08.2002
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Interview mit Martina Backes und Tina Goethe vom IZ3W Freiburg über das Buch
Im Handgepäck Rassismus. Beiträge zu Tourismus und Kultur, iz3w-Verlag, Freiburg, August 2002


Intro
Die Kamera - distanzierter Blick aufs Fremde. Der Kulturbeutel - Garant für zivilisatorische Mindeststandards. Der Reiseführer - Exotik-Impfung im Taschenformat. Das Portemonaie - Sicherheit durch Dividende. Der CD-Player - Filmmusik zur Traumkulisse. Die Sonnenbrille - Schutz vor neugierigen Blicken. Das Handy _ Anschluss an die Heimat. Der Reisepass - grenzenloser Identitätsnachweis. Und zwischen all dem Handgepäck - Rassismus.

Mod
Pünktlich zur Hauptreisezeit kommt ein neues Buch auf den Markt, das sich kritisch mit dem Tourismus auseinandersetzt. Unter dem etwas sperrigen Titel "Im Handgepäck Rassismus" versammeln die HerausgeberInnen vom Informationszentrum 3.Welt aus Freiburg kritische Beiträge zu Tourismus und Kultur. Der Band beinhaltet kulturtheoretische und historische Analysen sowie aktuelle empirische Beobachtungen und Reportagen. Ich sprach mit den beiden HerausgeberInen Martina Backes und Tina Goethe vom Informationszentrum 3.Welt aus Freiburg.

MB:
Ein Ausgangspunkt für uns war: Es gibt viele Bilder, die im Tourismus eine Rolle spielen, über Fremdheit, über andere Kulturen, die oftmals aber, obwohl sie sehr ähnlich sind, hier zuhause von den Reisenden eher als negativ empfunden werden. Die Sachen, die hier negativ sind, sind auf Reisen plötzlich positiv und umgekehrt. Da einfach mal dahinter zu schauen, zu fragen, wo kommt das her, was hat das für Gründe, das war unser Anliegen.

Mod
Die Bilder, die sich die Reisenden vom Fremden und der Fremde machen, haben dabei meist einen rassistischen Hintergrund. Durch das Buch zieht sich daher als roter Faden die Frage, in welchem Verhältnis der Tourismus mit rassistischen Bildern und Ideologien steht und welchen Nutzen sich die dominante weiße Reisegesellschaft aus der multikulturellen Exotik zieht. Mehrere Beiträge des Buches vertreten die These, dass es eine Verwandtschaft zwischen Rassismus und Tourismus gibt. Auf den ersten Eindruck erscheint dies fragwürdig, tragen doch gerade das Reisen und der Tourismus in der landläufigen Meinung zum Kennenlernen der Kulturen und der Völkerverständigung bei. Was also haben Tourismus und Rassismus miteinander zu tun?

TG
Ja, sie haben eine ganze Menge miteinander zu tun. Man kann einmal sehr grundsätzlich schauen, sich eine strukturelle Verwandtschaft anschauen. Da kommt man sehr schnell auf den Begriff der Fremde, der Exotik. Der Tourismus lebt davon, dass er die Fremde sucht, die Fremde verkauft, die Fremde anbietet. Um die Fremde so anbieten zu können, inszeniert er sie. Das geht weiter. Er konstruiert die Fremde auch. Der Tourismus bzw. die Touristen und Touristinnen finden die Fremde nicht einfach vor, sondern in dem Prozess des Suchens und Findens werden sie in der Wahrnehmung und im Umgang damit erst konstruiert. Ganz ähnlich ist ja der Rassismus auch. Es gibt nicht einfach das Eigene und das Fremde. In dem Prozess der Wahrnehmung bzw. der Handlung wird permanent die Grenze zwischen dem Eigenen und dem Fremden gezogen. Das Fremde kann immer wieder was ganz anderes sein. Diese grundsätzliche Struktur, die sich in einem kulturellen Prozess ausbildet und verändert, bestimmen sowohl den Tourismus als auch den Rassismus.

MB:
In unserem Buch geht es hauptsächlich um diese Bilderebene, um die Wahrnehmungsebene, um die Frage, welche Wahrnehmungsebenen rassistisch durchzogen sind. Es geht weniger um ganz konkrete rassistische Äusserungen und Handlungen. Dennoch kann man sehen, dass diese Strukturen in den Bildern der Reisenden, ja auch in den Bildern, die durch die Reiseindustrie verbreitet werden, ganz konkrete Auswirkungen hat.

Für viele Linke in diesem Land, denen die Diskussionen um die mehrdimensionalen Macht- und Gewaltverhältnisse nicht fremd sind, wird sich jetzt möglicherweise die Frage stellen, ob es legitim ist, den Tourismus, der ja keine Ideologie, sondern eine massenhafte Praxis ist, mit Gewaltverhältnissen wie Rassismus und Sexismus auf eine Stufe zu stellen. Die Kritik am Tourismus so zu überhöhen, daß dieser als Ismus, als eigenes gesellschaftliches Gewaltverhältnis konstruiert wird, relativieren die Herausgeberinnen des Buches dann aber doch:

TG:
Also, den Tourismus jetzt bei der Aufzählung der verschiedenen Gewaltverhältnisse dazu zu zählen, würde ich ablehnen. So verstehen wir das nicht. Aber auf jeden Fall kann man sagen, dass der Tourismus von den genannten Gewaltverhältnissen bestimmt, durchzogen, dominiert ist, und zwar zum Teil in sehr intensiver Art und Weise, auf sehr radikale, besser extreme Weise. Der Tourismus lebt von den rassistischen Strukturen, und wo man es vielleicht noch deutlicher sehen kann und was auch schon oft genannt wurde, von sexistischen Strukturen. Da muss man jetzt nicht nur den Sextourismus nennen. Da geht es auch sehr viel grundsätzlicher darum, wie schon immer die Fremde als zu erobernde, passive, im Grunde weiblich konnotierte Gegend, Region oder Fremde von aktiven männlichen Reisenden besetzt, durchdrungen wurde. Man kann das auch da wieder auf einer Bilderebene fassen, aber natürlich auf der sehr konkreten Ebene auch.

Solche konkreten Ebenen sind zum Beispiel die Bilderwelten in Reisekatalogen, Weiblichkeitsbilder im Tourismus sowie Frauenhandel und Sextourismus. Mehrere Beiträge des Buches untersuchen diese Aspekte im Detail. So kann festgehalten werden. Im Handgepäck der Reisenden wie in den Katalogen der Reiseindustrie stecken oft nicht nur althergebrachte Kulturvorstellungen und konkrete Rassismen, sondern ebenso sexistische Macht- und Eroberungsphantasien, die zur massenhaften Praxis hauptsächlich von Männern werden können. Auch die wohlwollenden Reisenden, die das multikulturelle Erlebnis und das Kennenlernen des und der Fremden schätzen, handeln dabei mehr eigennützig als emanzipatorisch. Im buch wird kritisiert, dass das Erleben der fremden Exotik in erster Linie ein Erfahrungskonsum, aus dem dann im eigenen Umfeld kulturelles Kapital geschlagen wird:

Zur Exotik finde ich relativ auffällig, dass es in den letzten Jahren immer mehr darum geht, möglichst viel an Fremdheit erfahren oder konsumieren zu können. Es geht nicht darum, eine bestimmte Region oder eine bestimmte Kultur besonders genau kennen zu lernen, sondern die Weltreisenden zeichnen sich dadurch aus, möglichst viele verschiedene Symbolen von unterschiedlichen Kulturen erfahren zu können. Also so eine Art Erfahrungskonsum, mit dem man sich dann wiederum in der eigenen Gesellschaft privilegieren oder auch individualisieren kann. Das basiert natürlich auf diesen rassistischen Wahrnehmungsstrukturen.

An den TouristInnen und am Tourismus werden im Buch nur wenig gute Haare gelassen. Die theoretischen Postulate der Beiträge werfen deswegen die Frage auf, ob es überhaupt so was wie einen emanzipatorischen Tourismus geben kann, bei dem Rassismen und Sexismen vermieden, kulturelle Schranken durchkreuzt werden können, Machtverhältnisse abgebaut oder relativiert werden können. Die Möglichkeit des Durchbrechens von Gewaltverhältnissen im Tourismus ist zwar nicht Thema des Buches. Dennoch bleibt die Frage nach individuellen emanzipatorischen Handlungsspielräumen beim Tourismus offen.

TG:
Es immer schwierig, zu sagen, so und so geht's gut und so und so geht's nicht. Es gibt keine Modelle, keine Rezepte, die wir entwerfen würden. Es ist nicht unsere Fragestellung, wie es besser gehen könnte. Wir haben uns im Buch hauptsächlich mit den schwierigen Verhältnissen beschäftigt. Wir plädieren aber keinesfalls dafür, dass man sein Leben lang immer schön zuhause bleiben soll, auf dem gleichen Fleck bleibt, weil das kann nämlich genauso rassistische Gewaltverhältnisse fördern. Wir vertreten schon die Meinung, dass beim Reisen eine Horizonterweiterung stattfindet. Es ist aber eine andere Frage, sich zu überlegen, wie das dann gehen kann.

MB
Was wir zeigen wollen, ist, dass es im Tourismus durchaus sehr ambivalente Positionen und Möglichkeiten gibt. Also per se kann man weder von Völkerverständigung noch von Gewaltverhältnissen sprechen. Das ist einfach ein sehr ambivalenter Bereich und es war uns ein Anliegen, aufzuzeigen, welche persönlichen Spielräume, aber auch welche strukturellen Zwänge die Reisenden und auch die Tourismusindustrie, aber auch die Anbietenden im Süden, ausgeliefert sind.

Es lohnt, sich mit diesen strukturellen Gegebenheiten und Zwängen auseinanderzusetzen. Das Buch "Im Handgepäck Rassismus" vereint Beiträge zur Tourismuskritik mit einem Ansatz, den die hiesige Tourismusforschung bisher vermissen liess. Vieles, was in der wissenschaftlichen und auch journalistischen Beschäftigung mit dem Tourismus zu lesen ist, ist affirmativ und bleibt an der Oberfläche. "Im Handgepäck Rassismus" füllt hier eine theoretische Lücke, in dem sie den Tourismus in den Kontext der unsere westlichen weißen Gesellschaften bestimmenden Gewaltverhältnisse stellt.

Das war ein Beitrag über das im August 2002 neu erschienene Buch "Im Handgepäck Rassismus" - Beiträge zu Tourismus und Kultur. Das Gespräch mit den HerausgeberInnen Martina Backes und Tina Goethe vom Informationszentrum Dritte Welt Freiburg führt Andreas Linder. Das Buch ist im Verlag des informationszentrum 3. welt erschienen und kostet 15 Euro. Es ist im Buchhandel erhältlich oder kann direkt beim iz3w Freiburg bestellt werden entweder online über www.iz3w.org oder per Post über Iz3w, Postfach 5328, 79020 Freiburg.


Martina Backes Tina Goethe, Stephan Günther, Rosaly Magg (Hg.)
Im Handgepäck Rassismus. Beiträge zu Tourismus und Kultur,Verlag informationszentrum 3. welt (iz3w) Postfach 5328, 79020 Freiburg. www.iz3w.org,ISBN 3-922263-19-4,1. Auflage 2002
Bestellen Preis: € 15,- / SFR 25,- zzgl. Porto

Weiterverwertung nur mit Autorisierung. Kontakt: andreasbymail@gmx.net


Beiträge im Buch
Das Erlebnis der Grenze
Über die Verwandtschaft von Rassismus und Tourismus
Tina Goethe

Reise und Rasse
Tourismus als Motor globaler Klassenbildung
Hito Steyerl

Gestrandet
Von Fremden und Allzufremden an der Costa del Sol
Dominik Bloedner

Das Begehren nach Eroberung
Ein Versuch, die sexuelle Ökonomie neu zu kodieren
Ursula Biemann

Wild-Fremd-Frau
Weiblichkeitsbilder im Tourismus
Rosaly Magg

Das Un-Behagen in den Kulturen
Multikulturelle Gesellschaft auf Reisen
Christopher Vogel

Das "Andere"
Eine postkoloniale Erzählung
Nina Rao

Das ganze Land in einem Dorf
Die 'Bomas of Kenya'
Martina Backes

Mit weißem Blick
Bilderwelten im Reisekatalog
Jessica Olsen

Traumwelt Tibet
Westliche Trugbilder
Martin Brauen

Das gekaufte Anderssein
Erfahrungskonsum in der Fremde
Martina Backes

Farbenblind
Die Wiederkehr des Rassismus auf Kuba
Alejandro de la Fuente

Der Mann mit dem Stiefel
Fotografie und touristisches Verhalten
Christiane Schurian-Bremecker

Einheimische zum Mitnehmen
Interview mit der Fotografin Marily Stroux über Rassismus in Bildern

Begegnungen auf gleicher Augenhöhe?
Das Workcamp als Ort interkulturellen Lernens
Nikolaus Ell